Legal Innovation: Können Anwälte und Kanzleien Innovationen auf dem Rechtsmarkt ignorieren?
Das Thema Innovation auf dem Rechtsmarkt wird unter den englischen Labels „legal innovation“/„legal disruption“ heiß diskutiert – dennoch wissen viele schon nicht, was grundsätzlich unter einer Innovation zu verstehen ist. Deshalb zunächst eine Definition: Innovation ist „Kreation plus Umsetzung“. Eine Erfindung und eine Innovation sind also ganz unterschiedliche Dinge. Und: Einer Innovation immanent ist immer eine Weiterentwicklung, im Gegensatz zum Selbsterhalt einer Sache oder Organisation, der schnell zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führen kann, wenn es keine organisatorische Weiterentwicklung gibt. Der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit hängt natürlich immer auch mit der Dynamik des Wettbewerbs und des Marktes zusammen.
War die vorherrschende Haltung bislang häufig „es geht doch auch so“, ist nun ein Mehr an Dynamik zu beobachten. Dennoch stellt sich die Frage: Wieso sollten Sie als Anwalt und Anwaltskanzlei innovativ sein? Die Antwort ist einfach: Weil es andere sind und weil Sie Geschäft verlieren, wenn Sie nicht innovativ sind. Es geht darum, inwieweit Kanzleien auf die tatsächlichen Gegebenheiten am Markt reagieren und damit meine ich nicht den Kanzlei- oder Rechtsmarkt aus Sicht der Kanzleien. Nein, es geht um allgemeine Trends und darum, wie Wirtschaftsunternehmen, aber auch „Lieschen Müller“ als Mandant, darauf reagieren und was dies für Folgen für Sie als Anbieter von Rechtsdienstleistungen hat.
Legal Trends als Innovationstreiber: „More for less“, Digitalisierung und Liberalisierung
Was sind diese allgemeinen Trends? Nach einschlägiger Fachliteratur1 geht es in erster Linie um die sogenannte „more for less“-Haltung Ihrer Mandanten, d. h. diese wollen mehr und vor allem schnellere Leistung für weniger Geld. Und dies nicht, weil sie böswillig sind, sondern weil auf ihnen ebenso mehr Kostendruck als früher lastet und es damit einhergehend einen allgemeinen Trend zum „Insourcing“, dem Einlagern von Rechtsdienstleistungen ins eigene Unternehmen, gibt. Diesen Kostendruck spüren in gleicher Weise auch Anwälte, die „nur“ kleine und mittelständische Unternehmen beraten.
Weitere Trends sind die zunehmende Digitalisierung und Liberalisierung. Unter dem Schlagwort Industrie 4.0 wird derzeit viel darüber geschrieben. Es geht dabei allgemein und so auch auf dem Rechtsmarkt um eine Vernetzung und Vereinfachung von Prozessen, meist digital basiert, einhergehend mit einer Standardisierung und Automatisierung. Zukünftig wird die Digitalisierung noch stärker als bisher die direkte Zusammenarbeit mit den Mandanten betreffen. Es wird mehr um neue Formen der Zusammenarbeit mit Mandanten und anderen Anwälten gehen, zum Beispiel mithilfe geschützter Datenräume und eigener Plattformen. Die Ortsunabhängigkeit spielt dabei natürlich auch eine große Rolle.
Realitätsschau und erfolgreiche Role Models
Spätestens hier kommen die sogenannten alternativen Service Provider, z.B. tools4legal, ins Spiel. Diese arbeiten in der Regel mit webbasierten Anwendungen, durch die Plattformen oder eine (Teil)abschichtung der klassischen Anwaltsberatung angeboten werden.
Interessant ist also, dass es zunehmend nicht mehr um IT-basierte Angebote zur Verbesserung von internen Abläufen in der Kanzlei geht – nein, es geht um die klassische Arbeit der Berufsträger und die oben erwähnte Zusammenarbeit im Mandat. Das ist neu und vielleicht auch in gewisser Weise besorgniserregend. Wie allgemein, so gilt auch hier: Schau dem potentiellen Feind ins Auge und freunde dich mit ihm bzw. der Angst vor ihm an.
Wenn eine Kanzlei klug agiert, schaut sie sich genau an, welche juristischen Arbeiten sie innerhalb eines Mandats besser nicht selbst erledigt, sondern an Dritte, ob digital basiert oder analog, abgibt – letztendlich aus Eigeninteresse, um ihre Mandanten nicht zu verprellen.
Dabei werden zukünftig sicherlich immer mehr Wege der Kooperation mit alternativen Anbietern entstehen: eben Legal Innovation. In diese Richtung hat sich gerade die Mega-Kanzlei Dentons bewegt. Sie hat mit NextLawLabs eine Plattform zum Austausch von Informationen, auch mit Start-ups, aufgesetzt. Es geht, so schreibt die Kanzlei, um „eine gemeinsam nutzbare Innovationsplattform für den Rechtsmarkt, die sich auf Recherche, Entwicklung, Investitionen und den Einsatz von neuen Technologien rund um den Globus konzentriert.“
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Oder man macht es intern, so wie eine der größten deutschen Kanzleien: CMS Hasche Sigle. Dort gibt es eine Produkt- bzw. Innovationsabteilung, in der eigene, digitale, skalierbare Produkte entwickelt und dann vermarktet werden. Dabei ist ein Rückgriff auf eigenes Know-how entscheidend. Ebenfalls intern hat sich die Kanzlei Allen & Overy mit ihren fünf Geschäftsbereichen innovativ aufgestellt: der internationalen Kernkanzlei, dem Backoffice in Belfast, dem eigenen Lawyer-on-Demand-Servider Peer Point, A&O Consulting und der E-Commerce Sparte derivative Services.
Aber nicht nur die großen Kanzleien schielen in Richtung Legal Innovation. Auch kleinere und an einem Standort arbeitende Einheiten, wie lindenpartners in Berlin, stehen dem Thema Innovation offen gegenüber und haben das sogenannte „lindenlabs“ gegründet – ein Platz zur Entwicklung innovativer Produkte mit und innerhalb der FinTech Branche (Financial Technologies).
Welche Arten von Innovation gibt es?
Wenn man sich diese Beispiele genauer ansieht, lernt man schnell: Es geht um die klassischen Innovationsbereiche, wie sie auch in anderen Branchen zu finden sind, nämlich: Innovation auf Produktebene, auf Serviceebene oder Prozess-/Businessmodell-Ebene.
Der Anwalt war schon immer Produktmanager und damit auch verantwortlich für die Entwicklung neuer, möglicherweise innovativer Produkte. Dabei ging es früher meist um das Stichwort Standardisierung: Wie entwickle ich eine Beratung, die in gewisser Weise skalierbar, d.h. wiederholbar ist, auch wenn sie hochspezialisiert und individuell erfolgt. Auslöser waren und sind häufig Gesetzesänderungen, neue Urteile oder auch politisch-gesellschaftliche Entwicklungen. Beispiele: das neue Mindestlohngesetz oder die zunehmend in Deutschland zu beobachtende Thematik der Nachfolge von Familienunternehmen.
Legal Innovation: Gänzlich neue Anbieter drängen auf den Markt
Inzwischen entstehen neue Beratungsprodukte auch häufig durch und mit Hilfe neuer Anbieter. Entscheidend für das Aufkommen und den Erfolg dieser neuen Anbieter ist die Tatsache, dass die Rechtsdienstleistung mehr als früher „zerlegt“ werden kann.2 Es gibt Teile, die unbedingt ein hochspezialisierter Anwalt machen sollte und andere, bei denen ein solcher fast schon hinderlich ist, zumindest aber viel kostspieliger. Ein Beispiel: Die Verwertung großer Datenmengen im Rahmen der Lebenssachverhaltsermittlung bei Immobilientransaktionen oder Compliance Verfahren. Wieso sollte ein Mandant hier nicht erst Unternehmen einschalten, wie Leverton oder Epiq, die dieselbe Arbeit besser und günstiger als ein großes Anwaltsteam erledigen? Es geht weiter: Wieso den Wust an Gesetzen und Urteilen nicht durch hocheffiziente Datenbanken screenen lassen? Und wieso sich nicht Standardverträge oder aber Standardansprüche anhand von hinterlegten Algorithmen und Caselaws holen? Smartlaw und das Start-up flightright haben sich diesem Segment angenommen.
Netzwerken bei Anwälten- und dann auch noch digital?
Interessant ist auch, dass es zunehmend Anbieter gibt, die den Netzwerkgedanken verfolgen – sei es zwischen Anwälten, wie das seit 2014 agierende Bremer Legal Start-up edicted und das seit bereits 2011 bestehende Start-up advoassist – sei es zwischen Anwalt und Mandant – wie jurato oder advocado. Die Liste der neuen Akteure wird weiterwachsen und das Rad dreht sich schnell, sehr schnell. Wieso ist das so? Die Gründer der Legal Start-ups kommen meist aus der Generation der Digital Natives, d.h. für sie sind Digitalisierung kein Fremdwort, sondern Selbstverständlichkeit und sie haben häufig einen interdisziplinären Ansatz in ihrer Vita. Manche sind Juristen und Entwickler oder haben anderweitige Qualifikationen, die sie zu perfekten Vertrieblern machen. Dies fehlt vielen Anwälten noch. Außerdem haben sie flache Strukturen und keine Hierarchien, was sie besser dazu befähigt, auf die Marktbedürfnisse zielgenau und vor allem schnell zu reagieren.
Innovationsmethoden und -ansätze: Lean Start-up und Design Thinking
Der vielleicht wichtigste Punkt ist: Die neuen Legal Innovatoren arbeiten häufig nach der sogenannten „Lean Start-up“ Methode. Was bedeutet dies? An vorderster Stelle steht das Verstehen der Kundenbedürfnisse. Die Start-upler nennen dies Identifikation der „pain oder touch points“. Eine Methode dafür ist das „persona building“: Wie sieht der typische Mandant aus und was drückt ihn? Dann folgt ein schnelles Prototyping, d. h. dass in enger Abstimmung mit einer Kundengruppe eine Testversion oder ein Dummie erstellt wird. Gerne wird auch „Design Thinking“ angewendet. Auch dieser Ansatz stellt bei der Entwicklung neuer Angebote den zukünftigen Mandanten radikal in den Vordergrund. „Design Thinking“ stellt sich auf die Seite des Kundenwunsches, selbst wenn der Kunde – Ihr Mandant – seinen Wunsch noch nicht kennt. Entscheidend sind bei diesen Methoden und Ansätzen sicherlich die Akzeptanz von Rückschlägen und Sprüngen sowie die Freude am Suchen und Experimentieren. Anwälte sind von ihrem Charakter und ihrer Ausbildung her nicht unbedingt immer risiko- und experimentierfreudig, es geht eher um die richtige, wasserdichte Lösung des Falls. Dies sollten sich Anwälte vielleicht von den Start-ups abgucken. So oder so sollten diese nicht mit Argwohn, Neid oder Angst betrachtet werden, sondern als Zeiterscheinung und wertvolle Sparrings- und Kooperationspartner.
Und wie werden Sie als Kanzlei innovativ? Ein geeigneter Rahmen kann ein Workshop in der Kanzlei oder ein passendes Seminar sein. Wichtig ist die richtige Mischung aus externer Begleitung sowie interner Überzeugung und Unterstützung – sowohl in personeller als auch finanzieller Hinsicht.
Rechtsanwältin Claudia Bonacker
Business Development für Anwälte und Kanzleien, www.claudiabonacker.de
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